Im Bartenwal

Sohn rief Fünf Uhr dreiundzwanzig: Papa, ich bin wach. Papa erkannte am Tonfall, daß es zutraf und die Chancen auf unüberlegten Ausruf im Traum eher schlecht standen. Ich bin wach bedeutete: wir stehen auf. Gleich. Seine klare Stirn ein weißes Segel einer vorangegangenen Welt und soviel Heute wie nur möglich. Seine Stirn kreideweiß und vergnügt.

Um wach liegenbleiben zu können, beginnt Vater ein erprobtes Spiel, sind beide Meeresbewohner, Sohn rollt sich in die Decke und fragt: Bin ich jetzt im Magen? – Ja. – Komm ich da wieder raus? – Nein. – Werde ich schon verdaut? – Ja. Doch ein Bartenwal bläst Unmengen Wasser wieder hinaus und Sohn weiß diesen Weg zu nutzen: Ich bin draussen, guck doch! – Gut.

Sechs Uhr zwanzig Aufstehen. Vater wäscht sich das Gesicht und die Stille verwundert ihn. Es ist so still. Wo ist der kleine Mann, wo ist er um Himmelswillen hin? Diese Stille… Er geht zur Treppe, die Sohn eine Milchpackung in der Hand hinaufsteigt: Für deinen Kaffee, Papa.

Maiwind

geht umher läßt sich fallen

wogt auf den Köpfen des Korns

drückt sie vergnügt nieder zieht sie

empor trocknet sie neidet ihnen die Farbe

zehn Kilometer darüber

Kriegsgerät

das hilft und zerstört

am Boden das Feld im Wind Halme

neigen heben sich bei erstbester Gelegenheit

eh nicht alle durcheinander reden

ihr Grannen

aprilwindwald

auf mich zu eilende sonnenflecken überqueren

meine schuhe und fort – schon drängen sich die wipfel

hinter mir zusammen und ist der wind längst weitergezogen

fliehen die zweige voreinander als wäre ein mißgeschick passiert

in den stämmen nun behäbiges ächzen die biegung zurücknehmend

– stille – bis bei schwächerem wehen noch zittrig zaudernde tannenmeisen

zartesten laut geben

Regen am heiligen Abend

schlug ans Doppelglasfenster mit

vernarbten Fingerspitzen klopfte er

heilig heilsam an die Scheiben wusch

sie dabei wusch den kleinäugigen

Ruß der Autoabgase ab jenen der Öfen

den ferner Vulkanausbrüche – heiliger

schwerer Regen versprach vorbei an

frechen heiligen Gräsern bis

an die Wurzeln der Bäume zu dringen!

Und die Feuerwehr patroullierte über

ihre Außenlautsprecher Weihnachtslieder

voller Glöckchen jagend

neuzeitliche Beats dazu – ja

heilige Wasser rannen heilsam froh

nach Norden weisende Stadtfenster

traurige staubige hinab in Kästen

vertrocknete graue Blumen

schliefen weiter

Lob der frühen Dunkelheit

Gnade im November die 16 Uhr Dämmerung

komm zur Ruhe fleißige Kreatur schließe deine

Tür die Fenster und die Augen prüfe sitzend

den Besitz

Wie beleuchtete noch der Juli all die unzähligen

hervorspringenden Möglichkeiten hell gleißend

in die Nacht hinein wie vor diesem Wust Leben

wählen was noch zu tun sei, wie Luftholen?

Zeitig finster fragst dich zitternd ob jemand

anrufen wird oder hoffst daß niemand stört

oder erst zur abgemachten Stunde

Alle Angst vorm zuwenig besiegt Latschen

und Stubenhose loben jedes Nichtstun

Längst umstellte der Herbst dein Haus

hinter durchtrennten durchsichtigen

Wolkentüchern zieht der bleiche Mond

um bald ohnmächtig in die Wälder

zu fallen

manche väter

stehen dann schlaflos
im quietschendem morast gelehnt
an ein rostiges rohr die augen schmerzen
jemand mit versinkendem blick will mit
dir anstoßen du würdest jemandem dermaßen
ähneln du hast für eine woche lang dein
kind verlassen nun das schlechte gewissen
die gewißheit falsch zu handeln immer
wieder fortgezogen werden sich fortziehen
zu lassen flucht zu kindes nachteil
nachts draussen in der welt die von
nichts weiß auch mal fragt… nachts
nicht durchs dürre dreieck vom flurlicht
gehen nicht nach ihm sehen die
beiseite gestrampelte decke
nicht erneut überstreifen

nun eine woche lang ebenso wichtige
dinge tun glaubst du selber nicht

Sommer ohne Masken

Sommer ohne Verschwörung ohne Ablästern ohne Bankenskandal

ohne Ablösesumme

Sommer der Gelassenheit des Zuhörens des Aufblühens der

Hitze wir sehen wieder Münder

Sommer der Langsamkeit in der dennoch alles geschafft wird ein

Schwein grillen draussen sitzen

Rückkehr zum Wohlstand zur Bequemlichkeit sechshundert

Meter mit dem Auto zum Friedhof

Am Grab reine Trauer ohne Maske Spechtklopfen Blaumeisen im Gebüsch

Wind jeden Tag schützender Nebel
selten

Fescher Trash

Verweichlichte Jugend harte Jungs

Weicher Lockdown harter

Reiche Eltern soziales Netz

Weichkäse Hartkäse Schimmel

Ehrliches Schweigen falscher Rat

Leiser Zuschauer robustes Mandat

Blauer Pullover stinkendes Ornat

Verbieten verhandeln verlieren

Weiche Wasser splitterndes Eis

Wortspiel schlimmer Scheiß

Sanfter Boomer harter Greis

Ich ahne was ich weiß

Einst wußte

Weiches Wollen hartes Muss

Bunter Apfel taube Nuß

N‘Tritt vom Leben vom Tod nen Kuß

Raus aus dem Regen drinnen Kaffee

Mit Schuß – anstatt Hegel: Segel

November

erster der vier dunklen Brüder
du November senkst das Augenlid
erst der Februar wird es wieder
heben

ihr vier dunklen füllt die Zisternen
legt Flüsse an aller Bäume Wurzeln

du schiebst bereits am Nachmittag
die Lore in den Schacht dann heulen
in morschen Balken alte Sagen

die langen Abende helfen all meinen
Besitz zu zählen anzusehen wieder zu
finden zu fühlen wie verdientes Glück

wie eine Decke am Flußufer wie
lauer nachlassender Wind
bleiben Schilfgras und Sperberflug