Es gibt Kritik an den Öffentlich-Rechtlichen, von Verschwörern, von rechts, von links. Ich gucke ARD, ZDF, die Dritten, 3sat und arte und ntv und eurosport. Ich höre MDR-Info und Deutschlandfunk. Alles reine West-sender, hier und da winzige Sprenkel Ostgeborener, was Wurst ist, da sie von Wessies lernten wie man es macht. Und zwischen jedem Journalisten und dem Publikum sitzt noch ein Redakteur – das schlimmste Nadelöhr.
Aber ich möchte nicht meckern, ich möchte bewundern. Vor allem die weiße Weste des Westjournalismus. Makellose Demokratie, unbegrenzte Freiheit. Da können sich alle anderen aber mal… nur Platz 11 im Ranking von Reporter ohne Grenzen. 2024 noch 10, aber Angriffe und Einschüchterungen von rechts machen häßliche Flecken. Die weiße Weste ist toll, die leuchtet. Die leuchtet uns den Weg… Zum Beispiel sendet die Tagesschau nur zwei Themen, einmal Krieg, einmal Zukunftsangst, dann zwei Kurznachrichten mit Rücktritt und Gerichtsverfahren, damit Zeit bleibt für einen Trainerwechsel in der Bundesliga, eine Nachricht aus einem Königshaus und ausführlich: das Wetter.
Brächten die noch eine Nachricht über etwas wo Menschen etwas gutes gelingt, ich wäre überfordert. Nach der Tagesschau kommt die Doku. Richtig schön, gesund und deeskalierend für mich: eine Doku mit Ingo Zamperoni über „Italien unter Meloni!“ Der knuffige Halbitaliener fuhr halb privat halb dienstlich durchs halbe Heimatland. Interviewte Landsleute, denen er mit halbem Ohr zuhörte.
Was er ganz tat, komplett geradezu war Cabriofahren. Zwei Drittel des Films, also mehr als die Hälfte, sah ich ihn auf schönen Straßen im Cabrio, mal mit mal ohne Sonnenbrille, mal Wind im Haar, mal keiner, mal fuhr er an der Küste gen Süden von einer Drohne gefilmt, mal saß der Kamera-mann als Beifahrer dabei und Ingo sagte: „Ich fahre weiter in die Lombardei.“ oder „In Umbrien treffe ich den Universitätsprofessor Paolo Maserati.“ oder „Ich fahre zur Adria und treffe mich mit Fischern, bei denen nichts mehr so ist, wie es vorher war.“
Ein Fischer sagt, es war vorher auch schon so, aber ich hoffe, daß es außer mir niemanden auffiel. Die meiste Zeit redete Ingo oder nickte aufmerksam, bevor er wieder ins Cabrio stieg. Professor Maserati hatte er auch nach dem Fortgehen der Jugend aus Italien gefragt, „seit Meloni!“ Der Professor war ähnlich unachtsam gewesen: „Die Jugend geht doch immer fort, vor allem die Begabten.“ Aber Ingo ließ sich nichts anmerken, war ins Cabrio gestiegen, die Sonnenbrille verbarg seinen Zorn, die Drohne filmte die wunderbar, malerische Straße bergan in die Toscana „seit Meloni!“
Ein Bauer und eine Bäuerin auf ihre Harken gestützt, sehen Ingo vorbei-fahren, sagen: „Sieh, das ist der Ingo!“ – „Ja, der Ingo im Cabrio!“ – Hmm einen deutschen Paß und ein Cabrio haben!“ – „Ja, Deutscher sein, das wäre was“ – „Die Deutschen haben den Duce aus dem Campo Imperatore befreit.“ – „Ja, die Deutschen haben ihr Herz auf dem rechten Fleck.“ Ingo lenkt sein Cabrio, als wäre es ein Leichtes.
Es war so ein schöner Film, es gab soviel zu sehen, zu genießen und ich gebe zu, ich habe ihn ohne Ton geguckt… Ob ich mir einen Traum kaputt machen lasse oder nicht, entscheide ich gern selber.
Denn Europa ist im Arsch, Rußland auch, Brasilien holzt ab, im Jemen tobt seit 20 Jahren Krieg, Australien brennt oder hat Hochwasser. Am Great Barrier Riff sterben die Korallen. Hinter all unseren Sorgen und der Wohl-standsverwahrlosung pulst die neoliberale Raserei: Anhäufen, anhäufen, optimieren, nützliches denunzieren, nützliches abschaffen. Die Reichen wollen wissen wie lange das ohne Gegenwehr geht. Spoiler: sehr lange.
Bis die Reichen in Bunkern allein auf dem Planeten sind. Mein Rat an die Reichen: Nicht rausgehen. Nicht rausgehen! Verlaßt nie den Bunker, denn dort wartet Ingo Zamperoni im Cabrio. Mist, ich bin eingenickt.
Ingo fährt gerade durch einen Vorort von Florenz. „Dort treffe ich den Kunsthistoriker Luigi da Vinci.“ Ingo spricht lange, bis er fragt: „Wie ist es nun unter Meloni!“ Da Vinci sagt: „Berlusconi war auch kein Demokrat.“ Ich hab keinen Ton, aber ich kann italienisch Lippenlesen. Ingo sitzt schon wieder im Auto. Solch eine Sonnenbrille kauf ich morgen bei Rossmann.